Erfolgreicher Salutogenese-Kongress in Hamburg

Salutogenese bei Krebs Erster Salutogenese-Kongress tagt in Hamburg

Intensives Format sorgt für Austausch und Diskussion

Hamburg, 23. und 24. Juni 2017. Ankunft in Hamburg am Tag nach dem Sturm, schnell entstehen Gespräche unter alten Bekannten und Menschen, die sich zum ersten Mal sehen. Langjährige Weggefährten, nicht immer einer Meinung, gute Freunde, Kollegen, auch Skeptiker – „Schulmediziner vom Scheitel bis zur Sohle“ – sind der Einladung zum gemeinsamen Nachdenken über Salutogenese bei Krebs zwanzig Jahre nach dem Heidelberger Kongress „Spontanremissionen bei Krebs“ gefolgt. Tagungsleiter Günther Linemayr umreißt das Anliegen der Tagung, innerhalb des fortwährenden Kreislaufs somatischer, psychischer und sozialer Einflüsse, die im Fall einer Krebserkrankung gesundheitsfördernden, d. h. salutogenen Faktoren zu dokumentieren. Es entfaltet sich ein vielfältiges Programm: informativ, erfrischend, anspruchsvoll und spannungsreich, in dem die Dokumentation des wissenschaftlichen Forschungsstandes ihren Platz hat ebenso wie der leidenschaftliche Bericht aus jahrzehntelanger psychoonkologischer Praxis und kurzweiliges Gesundheitsedutainment.

Theo Dierk Petzold ordnet die Salutogenese bei Krebs kompetent und verständlich ein in die grundlegenden Konzepte der Stimmigkeit und Kohärenz sowie Zielsetzungs- und Bedürfnisorientierung und gibt so ein Gerüst für den inhaltlichen Zusammenhang der Tagungsthemen. Mit Manfred Heim, Herbert Kappauf und Corinna Köbele knüpfen drei Akteure des Heidelberger Kongresses mit ihrem Beitrag unmittelbar an die Entwicklung an, die sowohl die Rezeption des Begriffs als auch die Erforschung des Phänomens in der Zwischenzeit erfahren haben.

Herbert Kappauf weist bei sorgfältiger Dokumentation empirischer Belege energisch darauf hin, dass die Erforschung wirksamer Substanzen und Therapien traditionell und regelmäßig ihren Ausgang bei der Beobachtung selbstregulativer, reparativer körpereigener Prozesse nimmt.

Corinna Köbele gleicht die Ergebnisse ihrer Einzelfallbefragungen von 1997 mit den inzwischen in der psychotherapeutischen Praxis gewonnenen Erkenntnissen ab: Sie zeigt, dass Menschen, die eine Spontanremission erfahren haben, offenbar die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod zur Erweiterung ihres Selbstkonzepts nutzen konnten. Als zweiter Punkt: im Verlauf der Gesundung hat eine Musterunterbrechung stattgefunden, die unabhängig vom psychischen Ort ihres Erscheinens und der therapeutischen Intervention Veränderungen in allen relevanten Erlebensdimensionen anstoßen kann. Jörg Spitz führt aus, wie die Epigenetik den Mechanismus der selektiven Genaktivierung zur Anpassung einzelner Individuen an sich in der Regel allmählich verändernde Umweltbedingungen darstellt. Durch Industrialisierung und Technisierung verändern sich unsere Umweltbedingungen allerdings rapide – die salutogene Wende bringt eine Ressourcenorientierung im individuellen wie kollektiven Lebensstil: Umwelt- und Ernährungsbewusstsein sowie Bewegung sind die großen Marker. „Sport als salutogener Faktor“ wird von Michael Schoenberg in einem separaten Beitrag vertieft dargestellt.

Der Überblick über den psychoneuroimmunologischen Forschungsstand hinsichtlich Krebsentstehung, komprimiert dargestellt von Christian Schubert, macht eindrucksvoll deutlich, wie Stresserleben und Wohlbefinden neurobiologisch zu erfassen sind, und wie unmittelbar das Immunsystem in die Reaktionskette einbezogen ist. Im Nachweis der positiven Effekte von Achtsamkeit, Sinnerleben und Beziehungsgestaltung im Alltag lassen sich viele, bisweilen noch vereinzelte Erkenntnisse der vergangenen Jahre integrieren. Der Beitrag von Günther Linemayr dokumentiert, wie im Fall der Coping-Forschung bei Krebserkrankungen psychologische Konzepte in die medizinische Forschung Eingang finden und allmählich handlungsrelevant werden.

Untersuchungen des Nocebo-Effekts weisen auf den Einfluss von Kommunikation, Information und Bewusstsein hin. Der umfassende Beitrag von Hartmut Schröder stellt den individuellen Krankheitsverlauf in einen kulturellen Zusammenhang, in dem geistige Bewegungen ihre selbstverständliche Reflexion in körperlichen Prozessen erfahren. Gesundheit und Gesundungsoptionen zu denken, ist demnach wesentlicher Beitrag zur tatsächlichen Gesundung, eine Weichenstellung, die Ärzte und Therapeuten als die in der Beziehung zum Patienten professionell Handelnden zu verantworten haben.

Salutogenese vom Patienten lernen: Im letzten Panel machen drei Betroffene deutlich, wie fordernd sich der unerwartet positive Verlauf der Erkrankung bisweilen für Behandler und Umfeld gestaltet, wieviel Verantwortung Patienten im Fall einer schweren Erkrankung bereit sind zu übernehmen, und dass darin durchaus ein positives Überraschungsmoment für Diagnosestellung und Therapieverlauf erlebbar werden kann.

Was als provozierender Aufruf zum Kampf hätte aufgefasst werden können, ist im wertschätzenden Dialog fruchtbar diskutiert worden und hat verdeutlicht: Fragen, die auf ein „Entweder – Oder“ zielen, stellen weder Ärzten und Therapeuten noch Patienten Handlungsoptionen oder gar eine echte Lösung in Aussicht. Desiderate an die weitere Forschung konnten in verschiedenen Richtungen konsolidiert werden: Phänomene im Spektrum der Spontanremissionen zu dokumentieren und differenziert zu untersuchen, und den Begriff so zu fassen, dass Forschungsdesigns pragmatisch entwickelt werden können. Im Bereich der Psychoneuroimmunologie im speziellen erweist sich aufgrund bereits erprobter Methoden die Notwendigkeit von qualitativen Erhebungen und Zeitreihenanalysen, Methoden, die die Forschung nicht nur im Bereich der (psycho-)onkologischen Krankheitsbewältigung und individuell wirksamer Therapiemodule bereichern werden. Engagiert waren die Atmosphäre und die Diskussionen der Tagung, vermutlich auch aufgrund häufig formulierter Mehrfachbetroffenheit als Ärztin und Mutter oder Tochter, als Arzt und Partner, Behandler und Freund, in der die Vieldimensionalität der Krankheitssituation unmittelbar erlebbar wird.

Engagiert und mutig war der Impuls und die Vorbereitung des Kongresses, nicht zuletzt weil die ehrenamtliche Initiative des „Arbeitskreises Salutogenese bei Krebs“ in der Organisation viel öfter als gewünscht improvisieren musste. Daher gilt den Machern herzlicher Dank, dem Tagungsleiter Dr. Günther Linemayr, Wien, und für das Organisationsteam Lanny Tafel Hamburg.

Wer und was hilft den von Krebs betroffenen Patienten in Zukunft weiter? Sicher alle, die bis zur letzten Minute im Saal mitgedacht haben. Sicher alle, die vom salutogenen „Gesundheitserreger“ in den nächsten Wochen infiziert werden. Wir vertrauen auch auf die Verbundenheit mit allen, die bisher und weiterhin in ihrem Alltag engagiert zum Wohl ihrer an Krebs erkrankten Patienten arbeiten und hoffen auf die Fortsetzung des Austauschs bei einem nächsten Kongress.

Der 1. Kongress „Salutogenese bei Krebs“ hat am 23. und 24. Juni 2017 stattgefunden in den Räumen der Patriotischen Gesellschaft Hamburg Veranstalter: Arbeitskreis Salutogenese bei Krebs Tagungsleiter: Dr. med. Günther Linemayr, Wien Die Liste der Referentinnen und Referenten sowie das Kongressprogramm finden sie hier:

Alle Kongressbeiträge sind als CD und als DVD erhältlich bei Auditorium Netzwerk, www.auditorium-netzwerk.de Wer sich für den Arbeitskreis Salutogenese bei Krebs interessiert, kann Kontakt per eMail an tafel@aksbk.de aufnehmen.

Bericht von Julia Malchereck

Weitere Informationen über Therapiewege und Kontaktdaten erhalten sie hier.

Schreibe einen Kommentar